Schwerwetter
- ein viel diskutiertes Thema -
Mit diesem Thema habe ich mich wie viele meiner
Kollegen auf See schon vielfach auseinandersetzen müssen. Meinen
ersten schweren Sturm habe ich auf der Nordsee erlebt: Ein Sturmtief
mit doppeltem Kern hielt uns zwei Tage lang in der kochenden See
fest. Der Weg von Thyboren an der Westküste Jütlands nach
Helgoland war nicht weit, aber wegen des schweren Sturms aus SE
sehr lang. Später hat es mich im Englischen Kanal, in der Biscaya,
am Kap Finistere und wiederholt in der Deutschen Bucht erwischt.
Schwerwetter bedeutet Sturm, schwerer Seegang und
insgesamt eine Situation, die mehr als ungemütlich ist. Schwerer
Sturm auf See ist aber nicht lebensgefährlich, wenn man gut
vorbereitet ist. Um zu zeigen, was ich und andere unter guter Vorbereitung
verstehen, trainiere ich jedes Jahr mit Gästen Schwerwettersegeln
in der Deutschen Bucht. Dazu gehören nicht nur die Segelmanöver
in schwerer See, sondern insbesondere die Vorbereitung der Yacht
und der Mannschaft auf ein Wetter, das entweder plötzlich über
die Yacht hereinbricht oder dem man nicht ausweichen kann.
Weitere Bereiche der Vorbereitung auf Schwerwetter
sind: Meteorologie der Depressionen, Entstehung und Ablauf eines
Sturmtiefs, Wellen, mentale und physische Vorbereitung der Crew,
Seekrankheit, Ausrüstung einer Yacht für Schwerwetter
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Quelle: REUTERS
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Mein erster schwerer Sturm auf See
Der Eigner kam mit zwei Freunden nach Skive im Limfjord,
um mit ihnen und mir seine Swan 38 auf schnellstem Wege in den Heimathafen
Horumersiel an der Jade zurückzusegeln. Die Freunde waren Bauern,
die schnell wieder zur Ernte auf die Felder wollten. Ich hatte dort
in Dänemark eine Woche lang auf seine Yacht aufgepaßt
und sie gepflegt. Als wir am Ausgang des Limfjordes an der Nordsee
in Thyborön anlegten, stand im Wetterbericht am Hafenamt zu
lesen, dass von England ein Sturm im Anmarsch war.
Wir schmierten Brote (Schwarzbrot mit Schinken und
Käse), machten die Thermoskannen mit Kaffee voll und verstauten
alle losen Sachen seefest. Da es bereits mit Bf 6 wehte, starteten
wir mit Groß und Sturmfock. Die Leute am Kai wunderten sich
über unser Vorhaben, zumal die Erfahrenen unter ihnen wußten,
dass eine Rückkehr nach Thyborön wegen der flachen Einfahrt
und der sich schnell einstellenden, äußerst gefährlichen
Grundsee auf der Barre unmöglich sein würde.
Wir konnten uns schnell von der Küste freisegeln,
mußten aber immer weiter das Groß reffen, weil der Wind
kontinuierlich zunahm. Als die Dunkelheit hereinbrach, wehte es
bereits mit Bf 9, und wir hatten bereits das dritte Reff ins Groß
gebunden. Die See wurde gröber und gröber. Steile Wellen
klatschten gegen die Bordwand, überschütteten das Schiff
und die Wachhabenden an Deck. Der heftige Regen trieb quer übers
Wasser und die Tropfen trafen das Gesicht wie Geschosse. Den Rudergänger
traf es am härtesten, weil er nach schweren Rollern Ausschau
halten mußte, um ihnen so weit wie möglich auszuweichen.
Er bekam die Gischt, den Regen frontal von Vorne ins Gesicht.
Helgoland, unser anvisiertes Ziel, lag 150 sm auf
südlichem Kurs. Bei 8 kn Fahrt in ca. 19 Stunden zu erreichen.
Aber leider - oder anders gesagt: Ein Sturm über England kündigt
sich immer mit SW-Wind an - und bleibt dort, bis das Sturmtief durchgezogen
ist. Die Folge war, wir konnten wegen des starken Seegangs nur einen
Kurs von 130° oder 260° laufen. Der erste Kurs führte
aber direkt und sehr schnell auf die Küste zu. Der war uns
also versperrt. Der zweite, aber nur mögliche Kurs zeigte Richtung
England - und bekanntlich auf das Auge des Sturmtiefs. Wir strichen
die Fock und versuchten mit langsamer Fahrt über und durch
die Brecher zu kommen.
Die Wachablösung funktionierte, obgleich unter
Deck alles bereits feucht und nass war. In der Nacht sprang man
zur Freiwache nach dem Abstreifen des Ölzeugs über das
Leesegel in die heiße Koje im Salon, schnappte sich zuvor
noch eine nasse Schwarzbrotschnitte mit Käse und Wurst, zog
die dicke Pferdedecke über den Koppf und versuchte, in den
eigenen, bereits nassen Klamotten etwas Schlaf zu finden. Das Schwarzbrot
war ein Glück, weil mehrfach vergessen worden war, die Brotdose
zu schließen und immer dann, wenn das Schiebeluk aufgeht,
eine Brecher an Deck knallt. Aber Schwarzbrot mit Seewasser ist
immer eßbar und in der Not eine Delikatesse.
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Am Morgen war immer
noch alles Grau in Grau - und die ersten Ermüdungserscheinigungen
tauchten bei den Mitseglern auf. Sie lösten die Wache nur
noch ungern ab. Aber gegen Mittag war der Himmell plötzlich
blau, strahlend blau, rundum. Die See noch sehr unruhig, aber
die Lebensgeister erwachten. Das mußte das Auge des Sturmtiefs
sein - beeindruckend - und danach wird der Wind nach NW drehen!
- und uns nach Hause schieben. Wir hatten es geschafft!! |
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Nach einer Stunde zog sich alles wieder
zu. Wind wieder wie zuvor, Brecher und Wasser aus allen Rohren.
Und - dass war das niederträchtigste - keine Winddrehung! Weiter
auf Kurs gen England.
Nach etwa drei Stunden plötzlich wieder blauer
Himmel, wieder strahlend blau rundum. Dreht sich das Sturmtief um
uns herum? Sind wir dem Sturmtief nachgelaufen, haben es eingeholt?
Gibt es doch Seegeister oder Ungeheuer, die uns narren?
Die Sonne wird plötzlich wieder von dunklen
Wolken verschluckt und ringsum ist wieder graue See, Regen von oben
und querab und Brecher übers Deck - aber der Wind dreht!! Er
dreht auf NW!!! Wir können es noch nicht richtig glauben, aber
mit der Zeit gewinnen wir Vertrauen in die anhaltende Windrichtung
und schlagen die Sturmfock wieder an. Das gibt Mut - und wir segeln
mit stürmischem Wind von schräg achtern endlich nach S.
Die Sturmmöven sind in ihrem Element und sausen ohne Flügelschlag
zwischen den Wellen hin und her, machen abrupt kert und gleiten
in die andere Richtung, hin und her und hin und her. Sie werden
nicht wie wir von den Brechern getroffen und durchnäßt.
Mittlerweile ist unter dem Ölzeug nichts mehr trocken. Und
wir haben noch etliche Meilen vor uns - sind wir doch in den letzten
24 Stunden kaum vorangekommen. Wir werden erst morgen mittag auf
Helgoland ankommen - mit nassen Schwarzbrotstullen (aber lecker!).
Als wir nach einer weiteren Nacht in Sturm und Regen
endlich Helgoland sichten und der Wind etwas nachgelassen hat, beschließen
wir, nicht noch um die Insel herumzusegeln und den Hafen von Süden
anzusteuern, sondern von N einzulaufen und peilen die Untiefentonne
Nathurn an der Nordeinfahrt an. Ich stehe am Mast, klammere mich
an den Wanten fest und halte Ausschau nach der nächsten kleinen
grünen Fahrwassertonne, die zwischen den Wellenbergen und -tälern
kaum auszumachen ist. Plötzlich legt sich die Yacht quer aufs
Wasser. Wir sind gekentert. Zum Glück richtet sich das Schiff
schnell wieder auf, aber der Rudergänger hat hart mit den von
achtern anrollenden Brechern zu kämpfen und Kurs zu halten.
Auf allen Vieren krabbele ich übers Deck wieder ins Cockpit.
Als wir nach 48 Stunden in den Hafen einlaufen,
sind lange Landleinen von den dort festliegenden Yachten kreuz und
quer durch den Hafen gespannt. Wir gehen längsseits, tuchen
die Segel auf und machen klar Schiff. Als ich mit meinem wasserdichten
Plastikbeutel, in dem ich eine Garnitur trockene Wäsche verstaut
hatte,zu den Duschen gehe, sagen Kollegen, die uns hereinkommen
gesehen haben, dass wir seit Stunden über UKW ausgerufen werden.
Am besten wäre es, wir würden uns beim Hafenmeister melden.
Das berichte ich den Kumpels an Bord, die dann sofort zum Hafenamt
gehen und dort hören, dass die Ehefrauen uns über Norddeich-Radio
seit 12 Stunden haben ausrufen lassen. Sie Kumpels gehen sofort
zur nächsten Telefonzelle und rufen die Frauen an. Ihre aufgestauten
Ängste - geschürt durch die vielen Meldungen über
Sturmschäden an der Küste (abgeknickte Bäume, überspülte
Campingplätze, Schiffe in Seenot, Berufsschifffahrt ankert
im Schutz der Düne bei Helgoland, Seenotretter im Dauereinsatz
etc.) - entluden sich in Weinkrämpfen. Wir hatten das UKW-Gerät
ausgeschaltet, weil es bei dem tosenden Sturm eh nicht zu hören
war.
Spätere Nachforschungen beim Deutschen Wetterdienst
ergaben, dass wir am Montag, den 5.August 1985 in ein Orkantief
von 985 mbar geraten waren und es zwei umeinander drehende Augen
hatte (s. Abb.).
Diese Schwerwettertaufe hat mir bei späteren
Sturmfahrten auf der Nordsee, in der Biscaya oder im Mittelmeer
das Zutrauen gegeben, bei guter und richtiger Seemannschaft das
Schiff und die Mannschaft sicher in den Hafen und ans Ziel bringen
zu können.
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Schwerwettertraining auf
der Nordsee von Klaus Bartels
aus: Seileren's Hafenlotse 2004, Band 4 Deutsche Küste, Elbe,
Polen, und Welt am Sonntag, 26.Mai 2002
Das Vertrauen in sich selbst kann man lernen
Es ist die Angst des Seglers vor dem Sturm, die Jürgen Logemann
(Logemann Yachting), langjähriger Törnvermittler und Vercharterer
aus Bremen schon Anfang der 80er Jahre auf eine Geschäftsidee
brachte.
Wenn die Frühjahrs- und Herbststürme über die Nordsee
jagen und keiner Segelcrew auch nur im Traum einfallen würde,
auszulaufen, bietet er Schwerwettertörns an. Tatsächlich
herrscht ein flaues Gefühl im Magen, wenn der Wind mit sieben
bis acht Beaufort im Hafen von Cuxhaven durch die Riggs der Yachten
heult und Skipper Aloys von Hammel das Ablegemanöver für
den ersten Starkwindtörn nach Helgoland bespricht. Die Ruhe
und Gelassenheit, die der sturmerprobte Profisegler ausstrahlt,
der immerhin schon 72 000 Seemeilen gesegelt ist und der sich augenzwinkernd
als alter Salzbuckel bezeichnet, wirken jedoch beruhigend.
Dass der Mann alles im Griff hat, wird schon bei seiner Einteilung
der Crew in die verschiedenen Aufgaben deutlich. Eine knapp 15 Meter
lange Segelyacht bei acht Beaufort sicher aus dem Hafen zu bugsieren
und dann mit stark gerefften Segeln auf den richtigen Kurs zu bringen,
erfordert eine gut eingewiesene Mannschaft. Segelerfahrung ist dann
auch eine Bedingung, um an den Kursen teilnehmen zu können.
Ziel des ersten Toms über die aufgewühlte Nordsee ist
die Insel Helgoland. Von hier aus geht es dann jeden Tag auf See.
Trotz der stark gerefften Segel, legt sich die Yacht schon kurz
nach der Hafenausfahrt schnell so weit über, dass bei jeder
Welle grünes Wasser über das Deck läuft. Das Boot
segelt dabei durch die hohen Wellen, ohne sich festzustampfen. Jeder
an Bord ist über sein gutes Ölzeug froh, denn Gischt spritzt
oftmals bis ins Cockpit. Die starke Schiffsbewegung und das Lampenfieber
des ersten Starkwindtages fordern von einigen Teilnehmern des Schwerwetterkurses
ihren Tribut. Die Gesichtsfarbe wird erst etwas grünlich und
dann suchen sie - als erfahrene Segler - die Leeseite im Cockpit
auf und opfern Neptun ihr Frühstück. Nach den ersten zwei
Stunden auf der Nordsee scheinen sich alle Mitsegler an die heftigen
Schiffsbewegungen gewöhnt zu haben, denn es werden schon wieder
Witze erzählt.
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Aloys von Hammel und die Starkwindyacht flößen Vertrauen
ein. Gesegelt wird mit den besonders aufwendig gebauten Yachten
der finnischen Nautor-Werft. Ihre Boote vom Typ Swan gelten schlechthin
als Rolls-Royce auf dem Wasser und haben sich bei Logemann Yachting
auch bei härtestem Wetter bewährt. "Jeder Fahrtenskipper
sollte wissen, wie seine Yacht bei schwerem Wetter reagiert und
welche Möglichkeiten es gibt, unter harten Bedingungen das
Schiff sicher zu beherrschen", begründet der Veranstalter
sein ungewöhnliches Angebot, das von Anfang an von Seglern
angenommen wurde. Seit
Mitte der achtziger Jahre werden jeweils sieben Kurse im Frühjahr
und sieben im Herbst angeboten.
Manchmal gibt es so viele Anmeldungen, dass Logemann drei Schiffe
einsetzt. Zwei Yachten, die ständig in Sicht oder Funkreichweite
fahren sind es bei hartem Wetter aus Sicherheitsgründen immer.
Bei weniger Wind werden als Alternative übrigens Spinnaker-
und Hafenmanöver angeboten. Neben Übungen, die das gezielte
und kontrollierte Handling der Yacht beinhalten stehen beim einwöchigen
Schwerwettersegeln vor allen Dingen Sicherheitsmanöver wie
Beidrehen unter Segeln, Lenzen vor Topp und Takel, Liegen vor
Treibanker und Mann-über-Bord-Manöver im Mittelpunkt.
Für die meisten Teilnehmer der Kurse ist es das erstemal, dass
sie bei schwerem Wetter auf der aufgewühlten Nordsee unterschiedliche
Manöver segeln und dabei Lehrbuchwissen praktizieren, denn
Bücher über das richtige Verhalten bei Starkwind und Sturm
auf einem Segelboot haben fast alle gelesen. Wie Dr. Peter Baselides,
Segler und Arzt aus Köln. geht es vielen Kursteilnehmern jedoch
in erster Linie um ganz wesentliche Erfahrungen. "Ich will
einmal fühlen, wie eine Yacht unter extremen Bedingungen segelt
und was mit mir selbst passiert, wenn es richtig anfängt zu
wehen", begründet der Kölner seine Teilnahme an dem
Starkwindsegeln, das immerhin 790 Euro kostet.
Peter Baselides fand seine Antwort schon nach wenigen Tagen: "Ich
habe großes Vertrauen zum Material Boot bekommen und traue
mir jetzt auch selbst viel mehr zu". Fast alle Teilnehmer fahren
nach der Segelwoche mit einem reichen, neuen Erfahrungsschatz nach
Hause. Dafür sorgen Logemanns nordsee- und sturmerfahrene Skipper
wie Aloys von Hammel, der den Kursteilnehmern beispielsweise deutlich
macht, dass sicheres Starkwindsegeln nur mit einer exakten vorausschauenden
Planung möglich ist. Und dazu gehört auch sein Lieblingsthema:
seemännisch richtig und sorgfältig aufgeschossene Leinen.
Es ist übrigens schon vorgekommen, dass er sich einem Starkwindtörn
um alle Leinen selber kümmern musste. Von Hammel: "Eine
Crew hatte einmal auf der Insel Sylt in Hörnum geschlossen
abgemustert. Die Teilnehmer wollten bei Böen bis neun Beaufort
nicht mit auslaufen". Da die Yacht am nächsten Tag in
Cuxhaven sein musste, rief Aloys von Hammel einen Freund an und
segelte dann zu zweit die Yacht über die stürmische Nordsee
nach Hause.
Wer Interesse hat, bei schwerem Wetter seine Segelkenntnisse zu
vertiefen, kann sich über das Angebot von Logemann Yachting
unter www.logemann-yachting.de informieren.
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